Dreschflegel e. V.
Neue gentechnische Verfahren (Autorinnen: Eva Gelinsky und Stefi Clar)
Neue Verfahren in der Pflanzenzüchtung: Gentechnik 2.0?
In der Öffentlichkeit stehen transgene Pflanzen seit Jahren in der Kritik. Durch die Einführung artfremder, etwa aus Bakterien isolierter Gene werden Pflanzen verändert, "wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist" (EU-Freisetzungs-Richtlinie, Art. 2.2).
Für diese Pflanzen gelten deswegen besondere gesetzliche Vorschriften. Diese "klassische" Gentechnik wird immer noch angewendet und gegen ihre KritikerInnen verteidigt.
Die zwei gängigen Methoden der klassischen Gentechnik sind, auf Metallpartikeln anhaftende Gene mittels der sogenannten Genkanone in den Zellkern zu befördern oder mittels des Agrobacterium tumefaciens Gene aus anderen Organismen in die Pflanzen-DNA einbauen zu lassen.
Bei beiden Methoden ist weder der Ort des Einbaus beeinflussbar, noch ist verhinderbar, dass vorhandene Gene oder Regulationsmechanismen des Zielorganismus' zerstört werden.
Technische Grenzen der Gentechnik im Vergleich zu anderen Verfahren
Sogar Konzerne wie Monsanto, die seit Jahrzehnten mit gentechnischen Methoden arbeiten, weisen inzwischen auf technische Grenzen der Gentechnik im Vergleich zu anderen Verfahren hin. Auch aus diesem Grund beginnen sich seit einiger Zeit - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - neue Methoden in der Züchtung zu etablieren, die teilweise ebenfalls auf molekularer oder zellbiologischer Ebene ansetzen.
Im Gegensatz zur "alten" Gentechnik soll es mit diesen Verfahren möglich sein, Mutationen oder Gene gezielter in die Pflanze einzubringen oder bestimmte Gene in ihrer Aktivität zu verändern.
Ob ein neues Verfahren der Gentechnik oder der konventionellen Züchtung zugeordnet wird, hat jedoch weit reichende Auswirkungen, vor allem auf die einzuhaltenden Rechts- und Zulassungsvorschriften. Die Frage der rechtlichen Zuordnung steht seit einigen Monaten daher im Mittelpunkt der Diskussionen über die so genannten neuen Pflanzenzuchtverfahren.
New Techniques Working Group (NTWG)
Auf EU-Ebene wurde 2008 die New Techniques Working Group (NTWG) eingerichtet. Die NTWG hat, organisatorisch unterstützt von der Europäischen Kommission, acht neue molekularbiologische Techniken beschrieben: Sie wurden daraufhin geprüft, ob sie Pflanzen hervorbringen, die als gentechnisch verändert zu bewerten sind oder nicht (1). Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat sich inzwischen zu zwei der acht Techniken geäußert. (2)
Beispiel: Herbizidresistenter Raps
Im April 2012 wurde in Deutschland unter dem Namen "Clearfield-Vantiga" ein neues Herbizid der BASF zur Unkrautbekämpfung im Raps zugelassen. Es soll vor allem gegen schwer bekämpfbare andere Kreuzblütler eingesetzt werden. Der Wirkstoff Imazamox gehört in die Gruppe der so genannten ALS-Hemmer, auf die Raps normalerweise sehr empfindlich reagiert.
Aus diesem Grund erfordert der Einsatz des Clearfield-Herbizids den gleichzeitigen Anbau von Clearfield-resistentem Raps (CL-Raps), da nur dieser die Herbizidbehandlung überlebt.
Die ersten resistenten Winterrapssorten sind in England seit 2011 zugelassen und über die EU-Sortenliste in der ganzen EU vertriebsfähig. Obwohl fast alle Landwirtschaftskammern vor der Nutzung deutlich gewarnt haben, bauten 2012 rund 150 LandwirtInnen in Deutschland auf 3.000 ha CL-Winterraps an. (3)
Die Warnungen der Landwirtschaftskammern erinnern an die Warnungen der gentechnisch kritischen Szene in Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen mit Herbizidresistenz: Diese führen zu einem erhöhten Einsatz der entsprechenden Herbizide, "Un"kräuter sind einem erhöhten Selektionsdruck ausgesetzt, Resistenzen können sich bilden, zuerst wird mit höheren Aufwandsmengen reagiert, bis irgendwann wieder auf spezielle Herbizide zurückgegriffen werden muss. Das System überholt sich selbst.
Der CL-Raps ist laut Angaben der BASF mit Methoden der "traditionellen Züchtung" entwickelt worden (4). Neben der klassischen Gentechnik ist inzwischen eine weitere "Züchtungstechnik" im Einsatz, um herbizidresistente Pflanzen zu basteln: die Oligonukleotid gerichtete Mutagenese, kurz ODM. Dieses Verfahren gehört zu den neuen Techniken, die von der NTWG bewertet wurden.
Das Agritec-Unternehmen Cibus LCC (USA) hat ein (patentiertes) ODM-Verfahren mit dem Markennamen RTDS™ (6) entwickelt und arbeitet mit der BASF gemeinsam an der Weiterentwicklung des CL-Raps' mittels ODM: Durch das direkte Einbringen von kurzen DNA oder RNA Abschnitten (Oligonucleotiden) in die Zelle soll erreicht werden, dass die DNA an definierten Stellen verändert wird.
Cibus bewirbt diese Technik als nicht gentechnisches Verfahren, da keine fremde DNA eingefügt wird. Allerdings sind die genauen Mechanismen der durch ODM ausgelösten Genom-Veränderungen bislang nicht bekannt, auch wird das mögliche Auftreten unerwarteter Effekte nicht untersucht. (7)
Neben dem grundsätzlichen Aspekt, dass herbizidresistente Pflanzen in einer ökologischen Landwirtschaft nichts zu suchen haben und für ein völlig verfehltes Agrarmodell stehen, ist gerade Raps besonders brisant: Er ist zu hohem Anteil Kreuzbefruchter. Die bestäubenden Insekten haben sehr weite Aktionsradien.
Problematisch ist ferner, dass Rapssamen relativ klein sind und gut rollen, d.h. entlang der Transportwege wächst der sogenannte Adventivraps, und eigene quasi Wildpopulationen können sich etablieren. Rapssamen können außerdem über zehn Jahre im Boden überdauern. Wenn sie keimen, wächst Raps wild oder als Durchwuchs auf. So kann auch die Eigenschaft der Herbizidresistenz noch über Jahre an nachfolgend angebauten oder anderen Adventivraps weitergegeben werden.
Darüber hinaus muss mit Auskreuzungen in nahe verwandte Kultur- und Wildpflanzen gerechnet werden. Wenn herbizidresistenter Raps, sei es ODM-, Gentechnik-Raps oder der bereits angebaute CL-Raps, auf Flächen von LandwirtInnen auftaucht, die sich nicht für das System Herbizidresistenz entschieden haben, wäre das in jedem Fall ätzend!
Wie weiter?
In der Kritik an der "alten" Gentechnik werden Argumente verwendet, auf die einige der neuen Züchtungstechniken eine vermeintliche Antwort geben, bzw. Lösungen anbieten. Ein wichtiges Argument gegen die "klassische" Gentechnik ist zum Beispiel, dass es sich um ungezielte Eingriffe handelt. Die ODM-Methode wird als sehr viel gezielter beschrieben. Das Argument des ungezielten Eingriffs wird zumindest geschwächt.
SMART-Breeding und Tilling, beides molekulare Techniken, die schon länger im Repertoire hiesiger ZüchterInnen sind, stehen nicht auf der Prüfliste der EU. Sie werden z.B. von Greenpeace positiv bewertet, da sie als Alternativen zur Gentechnik betrachtet werden könnten.
Was sagt die Biobranche?
Die Biobranche kümmert sich derzeit vermehrt darum, welche Techniken für den Ökoanbau infrage kommen und welche abzulehnen sind. Dabei geht es um zweierlei: zum einen um die Frage, welche Sorten aufgrund ihrer Züchtungsbiografie im Anbau verboten werden sollten, zum anderen um die Frage, welche Züchtungsverfahren erlaubt sein sollen, so dass daraus entwickelte Sorten als Bio-Sorten zertifiziert werden können.
Bei der ersten Frage geht es um die Verfügbarkeit von Saatgut und Sorten für den Bioanbau. Dabei ist die Biobranche auf die freiwillige Offenlegung der Züchtungstechniken durch die konventionellen Züchter*innen angewiesen.
Der cms-Chicorée (8), der im Februar 2013 in Biomärkten auftauchte, ist ein Beispiel für diese Misere: cms-Hybriden sind nach EU-Öko-Verordnung nicht im Bioanbau verboten, aber einige Anbauverbände verbieten sie bei Kohl und Chicorée, da dort über Zellfusion Rettich-, bzw. Sonnenblumen-DNA in den Kohl oder den Chicorée eingeschleust wurde - eine deutliche Überschreitung der Artgrenzen. Es sind aber kaum noch Hybridsorten ohne diese Manipulationen verfügbar.
Die zweite Frage könnte ganz einfach beantwortet werden: In (Rück-)Besinnung auf die Grundlagen des ökologischen Landbaus wäre es ein Einfaches, Pflanzenzüchtung im Kontext von gärtnerischen und landwirtschaftlichen Betrieben zu belassen, Pflanzen in ihren Kontexten auf den Äckern zu selektieren mit nachgelagerten Analysen der Inhaltsstoffe oder Eigenschaften der Ernteorgane (z.B. Backeigenschaften bei Getreide).
Markergestützte Selektion
Heutzutage wird aber auch die markergestützte Selektion als Ergänzung zur Züchtung von Bio-Sorten nicht ausgeschlossen (9): Diese Methode verändert keine DNA. Aber die Auslese von Pflanzen findet auch auf molekularer Ebene statt, wenn im Labor Marker (bestimmten Eigenschaften zugeordnete Muster der DNA) über die weitere Auslese entscheiden können.
Bei dieser Methode werden wiederum Enzyme genutzt, die z.T. mittels gentechnisch veränderter Bakterien hergestellt werden. Für Sorten, die das Label "unter ökologischen Bedingungen gezüchtet" bekommen sollen - wo doch der Ökolandbau prozessorientiert ist -, ist so ein Verfahren, auch wenn es nur zusätzlich eingesetzt wird, nicht geeignet!
Allgemein ist eine fortschreitende Konventionalisierung im Biobereich zu beobachten. Passend dazu sehen wir uns derzeit mit der Entwicklung konfrontiert, dass "moderne" Biotechnologien im Ökolandbau hoffähig gemacht werden sollen.
Die Uni Kassel hat am Fachbereich für ökologische Agrarwissenschaften in Witzenhausen - der Fachbereich ist seit 1982 Vorreiter in Lehre und Forschung für den Ökolandbau - eine neue Professur für ökologische Pflanzenzüchtung besetzt: mit einem Molekularbiologen!
Züchtungsprojekte von Biozüchter*innen stehen potenziell unter Druck, wenn es um öffentliche Fördergelder geht: Zusehends wird der Einsatz von markergestützten Untersuchungen zur Voraussetzung für die Förderung.
Die Ökolandbau-Szene hat hier noch kein klares Bild: Während einige Züchtungsinitiativen noch über die verschiedenen Methoden diskutieren, haben andere bereits Projekte gestartet, die markergestützte Selektion oder andere fragwürdige Technologien einschließen.
Sollen wir uns in dieser Auseinandersetzung in den eigenen Reihen engagieren oder doch besser im weiteren Widerstand gegen Gentechnik und andere Schweinereien?
Klar ist: Die Schere im Kopf entwickelt sich. Marker sind plötzlich wichtig und Züchtung mit Markern wird auch im Ökolandbau als "problemlösend" angesehen. Die Vorstellung von Pflanzen und Vererbung, von den Wechselbeziehungen zwischen Pflanze und Umwelt werden sich ändern.
Lässt sich die ökologische Pflanzenzüchtung auf markergestützte Selektion ein, rennt sie einer Strömung hinterher, die von der industriellen Züchtung weit mehr beherrscht wird. Dabei gehen Zeit und vor allem Denkmöglichkeiten verloren, an Alternativen zu arbeiten. Die Denke wird "konventionalisiert".
"Viele Menschen - viele Orte = Nutzpflanzenvielfalt" oder lieber Technik?
Nutzpflanzenvielfalt entstand durch viele Menschen an vielen Orten. Die Konzentration von Züchtung bei relativ wenigen Konzernen und ein paar verstreuten Mittelständler*innen ist hingegen eine sehr junge Entwicklung, die vergleichsweise unbewährt ist.
Daher sollten wir bei der Diskussion über neue Züchtungstechniken die Hauptfragen nicht aus dem Blick verlieren:
- Wer kann diese Techniken durchführen - können es nur wenige oder potentiell noch alle?
- Für welche Form der Landwirtschaft oder des Gartenbaus wird gezüchtet?
Beim CL-Raps haben wir es schon erwähnt; herbizidresistente Pflanzen stehen nicht für einen fortschrittlichen Landbau. Alle derzeit von der EU bewerteten Züchtungstechniken ebenso wie das oben erwähnte Tilling pfuschen am Genom herum, um neue Produkte für industrialisierte Landwirtschaft und Gartenbau zu schaffen.
Smart Breeding ist der Porsche der markergestützten Selektion: Hier wird nichts am Genom verändert, aber neue Sorten werden via Selektion mit hoher Rechnerkapazität und Turbo-DNA-Analysen designt.
Welche Konsequenzen zieht der Dreschflegel?
Wir Dreschflegel haben 2010 beschlossen, dass wir nicht mit Institutionen zusammenarbeiten, die selber an oder mit gentechnisch veränderten Organismen arbeiten.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, in eigenen Projekten keine DNA-Analysen zuzulassen, bzw. uns an Projekten mit DNA-Analysen nicht zu beteiligen.
Institutionen, die DNA analysieren (z.B. markergestützte Selektion, aber auch Identifikation von Verwandtschaftsverhältnissen auf Genom-Ebene) grundsätzlich von einer Zusammenarbeit auszuschließen, hätte dazu geführt, dass kaum noch Kooperationspartner*innen übrig geblieben wären. Tja, postmoderne Zeiten ... !
Fußnoten
(1)
a) Oligonukleotid gerichtete Mutagenese (ODM);
b) Zinc Finger Nuclease Technik (ZFN);
c) Cisgenesis (Gentransfer innerhalb einer Art);
d) Propfen (gentechnisch veränderte mit unveränderter Pflanze);
e) Agro-Infiltration (gentechnische Veränderungen somatischer Zellen);
f) RNA-abhängige DNA Methylierung (RdDM);
g) Reverse Breeding;
h) Synthetische Biologie
(2)
Eine gut lesbare Übersicht über verschiedene biotechnologische Züchtungsmethoden bietet das FibL-Dossier über Techniken der Pflanzenzüchtung, das auch eine Einschätzung zu deren Eignung für den ökologischen Landbau enthält. Ergänzt wird der Methodenüberblick durch das im Rahmen eines ExpertInnen-Workshops entstandene Grundlagenpapier zur ökologischen Pflanzenzüchtung und den zur Beurteilung von Züchtungsmethoden für den ökologischen Landbau erarbeiteten Kriterien.
(3)
ohne Autor 2013: Aspekte von Clearfield, BASF-Podiumsdiskussion am 20.03.2013 in Fulda. Verfügbar unter: www.ackerplus.de (Zugriff: 02.05.2013).
(4)
Schriftliche Mitteilung der BASF auf eine Anfrage von Testbiotech (November 2013).
(6)
= rapid trait development system.
(7)
www.i-sis.org.uk
Isis bewertet ODM als gentechnische Methode. Auch aus Sicht des FibL-Dossiers handelt es sich bei ODM um ein gentechnisches Verfahren. So verstehen wir jedenfalls die Bemerkung unter "kritische Punkte aus Sicht des Ökolandbaus" (FibL 2012, S. 25): "Gentechnisch veränderte Organismen sind im Ökolandbau nicht erlaubt."
(8)
cms steht für die englische Bezeichnung cytoplasmatic male sterility, also zytoplasmatische männliche Sterilität: cms ist eine von verschiedenen Möglichkeiten zur kostengünstigen Herstellung von Hybridsaatgut, die über die Unfruchtbarkeit des Pollens bei der Mutterlinie arbeitet. Die genetische Grundlage für diese Unfruchtbarkeit liegt nicht ausschließlich in der Kerngenetik (in der DNA des Zellkerns), sondern im Wechselspiel mit der DNA anderer Organellen der Zelle (im Zytoplasma), die nur mütterlich vererbt wird.
(9)
Martin Bossard auf der Tagung "Moderne Techniken in der Pflanzenzucht und deren Bewertung im Blick auf die Prinzipien des Biolandbaus" am 09.04.2013 im Rahmen des Netzwerks Ökologische Pflanzenzüchtung in Frankfurt/M.; Lebendige Erde 4/2013: S. 24-25.